Essay von Torsten Obrist, erschienen in: LBBW-International. Wirtschaft und Märkte. Russland. Publikation der Landesbank Baden-Württemberg, Ausgabe 01, Januar 2009, S.20f.
„Selbstbewusst sind die neuen Russen, süchtig nach Superlativen die knapp 11 Millionen Moskowiter. Sie haben es nicht mehr nötig, Statistiken zu fälschen, um die Welt zu beeindrucken. Und die negativen Auswüchse ihrer Stadt, die lassen sie bei ihrer Rekordjagd einfach weg.“ – So stand es im „Spiegel“ Mitte diesen Jahres (Nr. 29/ 14.07.2008, S. 107), und dieses ambivalente Bild zeigt sich jedem, den es geschäftlich nach Moskau zieht. Meine Galerie für junge Kunst war in diesem Jahr bereits das dritte Mal als Teilnehmer auf der Art Moscow, der sicher wichtigsten osteuropäischen Kunstmesse. Und in diesen drei Jahren konnte ich den Moskauer Boom – auch in der Kunst – in Riesenschritten miterleben.
Es war 2006, als erstmals auf der Messe nicht mehr nur zwei bis drei deutsche Galerien zu finden waren, sondern gleich mehr als ein Dutzend und eine deutliche Internationalisierung einsetzte: Moskau war der verheißene Markt, wo Millionengeschäfte gemacht werden konnten. Die Enttäuschung war bei den meisten groß, als sie mit leeren Taschen nach Hause kamen. Meine Galerie gehörte zu den wenigen, die mit junger Kunst aus dem Westen punkten konnten, und auch in den beiden Folgejahren konnten wir sehr gute Ergebnisse erzielen. 2008 hat sich die Art Moscow allerdings stark verändert: Nur noch fünfzig Galerien wurden zugelassen, drei nur noch aus Deutschland. Die Richtung ist klar: Russen sollen wieder mehr bei russischen Galerien russische Künstler kaufen. Dazu passt ein Bericht im FAZ.net, der die neuen östlichen Kunstmärkte unter die Lupe nimmt: „Der Osten leuchtet, die Preise boomen, die Russen kaufen ihre eigene Kunst zu fast jedem Preis zurück, ähnlich wie in zunehmendem Maße auch die Chinesen, die den Ostasiatika-Markt Westeuropas mit offenen Scheckbüchern beleben.“ (Quelle: FAZ.net, August 2007) Während allerdings China 2007 zum viertgrößten Kunstmarkt der Welt angewachsen ist, und mit einem Volumen von mehr als 320.000.000 $ Deutschland überholt hat, ist die Situation in Russland sehr viel weniger transparent. Verlässliche Zahlen bieten einzig die großen Auktionshäuser: „Der Umsatz mit russischer Kunst hat sich nach Angaben von Christie’s im Zeitraum von 2000 bis 2006 mehr als versiebenfacht. Allein im ersten Halbjahr 2007 setzte Christie’s 69 Mio. Dollar um, nach 70,5 Mio. Dollar im gesamten Vorjahr. Gar um das zwanzigfache stiegen im gleichen Zeitraum die Umsätze im Handel mit russischer Kunst bei Sotheby’s – sie beliefen sich im vergangenen Jahr auf 153,5 Mio. Dollar.“ (Quelle: FAZ.net, August 2007) Und so hört man immer wieder von den legendären russischen Oligarchen, die Klassiker ebenso wie aktuelle Kunstwerke zu exorbitanten Dollarsummen ersteigern.Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die „Big Sue“ von Lucian Freud, die für 30 Millionen in russische Hände wechselte, jene von Roman Abramowitsch.
Diese punktuellen Spitzenergebnisse täuschen nicht darüber hinweg, dass der Verkauf junger westlicher Kunst in Russland nach wie vor schwierig ist. Es sind die wenigen reichen Privatiers, die informiert sind und im nennenswerten Umfang diese Kunst kaufen. Sie sind auch der Motor einer wachsenden heimischen Kunstszene, insbesondere in den Metropolen Moskau und St. Petersburg. Daraus spricht ein neues Selbstbewusstsein gegenüber der Übermacht der westlichen Kunst. So entstehen privat gestiftete Museen wie das von Viktor Markin, und auch der schon erwähnte Roman Abramowitsch hat zusammen mit seiner schönen Freundin Dasha Zukhova sein gigantisches GCCC Garage Center for Contemporaray Culture in Moskau eröffnet.
Vorreiter war das vor zwei Jahren eröffnete “Winzavod”, eine ehemalige Weinfabrik, in der sich nun auf 20.000 qm die wichtigsten russischen Galerien präsentieren. Es sind Galerien, die inzwischen auch vom internationalen Parkett nicht mehr wegzudenken sind: XL Gallery, Marat Guelman, Aidan Gallery, Regina Gallery. Zu den Winzavod-Festen kommen stets mehr als 10.000 Menschen, Zeichen für ein sehr breites Interesse an aktueller Kunst. Die Menschen setzen sich intensiv mit ihr auseinander, wollen verstehen. Eine Vorliebe für die eigene, russische Kunst ist unverkennbar, denn die westlichen Entwicklungen der modernen Kunst seit den 50er Jahren sind bisher nur wenigen bekannt. Die junge Kunst in Russland hat sich relativ eigenständig entwickelt, und ist häufig geprägt von Pathos und schwerer Symbolik, was ich in der russischen Mittelstellung zwischen Europa und Fernost begründet sehe, und ihrem Fundament in der orthodoxen Kirche.
Die Kunst ist frei, auch in Russland. Allerdings mit Einschränkungen: Wer nicht von einem reichen Russen protegiert wird, hat als Künstler kaum eine Chance. Und auch von staatlicher Seite werden der Kunst die Schranken gewiesen: Eine von Andrej Jerofejew 2007 initiierte Ausstellung in der von ihm geleiteten Tretjakow-Galerie setzte sich kritisch mit Religion auseinander, und hatte mit Zensur, staatlichen Repressalien und handgreiflichem Bildersturm zu kämpfen, Jerofejew wurde schließlich entlassen. Vor diesem Hintergrund sind die Chancen auf dem russischen Kunstmarkt zwar groß, jedoch kaum berechenbar.
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